anninafischer
Führen in Teilzeit?
Aktualisiert: 25. Feb. 2022
Geht Führung im Teilzeitpensum? Und macht es eigentlich immer Sinn, den Faktor Zeit zuerst zu nennen, wenn es um Arbeitsleistung geht? Das sind Fragen, die uns immer wieder beschäftigen und auf die es auch keine allgemeingültigen Antworten gibt. Als Baschi Dürr, ehemaliger Regierungsrat von Basel-Stadt, öffentlich machte, dass er neu CEO von uptownBasel im 60%-Pensum sein würde, mussten wir ihn einfach anfragen, ob er diese Themen mit uns diskutieren würde. Vielen Dank, Baschi Dürr, dass Du dazu bereit warst, für Deine Überlegungen und den interessanten Austausch.

Annina Fischer: Du hast Mitte März als CEO von uptownBasel (www.uptownbasel.ch) angefangen. Bist Du gut gestartet?
Baschi Dürr: Ja, die Arbeit ist spannend. UptownBasel, diese Arealentwicklung ist ein sehr grosses Projekt. Schliesslich soll das historische Schorenareal zu einem Industriepark 4.0 werden. Das heisst konkret zu bauen, aber auch jene Mieter, die wir geeignet finden, zusammenzubringen und aktiv anzusiedeln, indem wir überlegen, welche Fertigkeiten und welche Unternehmen im Sinn der Industrie 4.0 zueinanderpassen. Die Firmen sollen sich hier nicht nur selbst entwickeln und produzieren, sondern sich auch gegenseitig «befruchten». Es ist ein grosses Projekt, mit viel Speed. Wir sprechen von über 500 Millionen Franken Investitionsvolumen, bis zu 2500 Arbeitsplätzen, wenn alles gebaut ist, und 50 bis 100 Firmen. Gleichzeitig herrscht eine Start-Up-Atmosphäre. Die Organisation ist klein, sie besteht für die Betreibergesellschaft in erster Linie aus mir, jedoch in enger Absprache mit dem Arealentwickler Hans-Jörg Fankhauser und seinem Team, der nicht nur baut, sondern auch das Marketing und die Akquisition verantwortet. Meine Hauptaufgabe ist der Betrieb. Übergeordnet baue ich Unternehmensstrukturen auf. Das soll aber keine komplizierte Bürokratie werden, denn das Projekt lebt auch von der Schnelligkeit.
Du bist CEO im 60%-Pesnum. Wie gelingt Führung in Teilzeit?
Ich habe mit diesem Pensum gestartet, und das läuft gut. Aber bei der Frage nach Führung in Teilzeit geht es ja auch um die Frage, was Vollzeit und was Teilzeit ist. Die Woche hat 168 Stunden, irgendwann muss man schlafen, und wir alle haben diverse Aktivitäten, die wir nicht zur Arbeit zählen – Freizeit, Familie etc. Daher ist es zu dichotomisch, zu sagen, es gibt Vollzeit und es gibt Teilzeit. Grundsätzlich: Man hat eine gewisse Bereitschaft zu arbeiten bzw. man muss oder will oder kann so und so viel arbeiten. 3, 4 oder 5 Tage, 30 Stunden oder 40 Stunden. Natürlich muss es für einen stimmen, und es muss für den Arbeitgeber stimmen. Es gibt sicher ein Minimum – 5 Stunden etwa als CEO sind wohl zu wenig – und es gibt ein Maximum. Jene, die sagen, sie arbeiten immer 80 oder 90 Stunden pro Woche, da bin ich skeptisch, ob sie das wirklich tun. Das kann ja auf Dauer auch nicht gesund sein. Aber dazwischen ist relativ viel möglich.
Wie gestaltest Du diese 60%?
In der Regel bin ich von Montag bis Mittwoch hier. Donnerstags, freitags und an Wochenenden jeweils dann, wenn es etwas zu tun gibt. Mit den 60% wollte ich zwei Dinge zum Ausdruck bringen: Zum einen, dass dies mein Hauptjob ist, aber zum anderen auch, dass ich offen bin und Kapazitäten habe für andere Projekte und Mandate.
Mit Deiner Antwort von vorhin gehst Du schon in die Richtung, über die wir bei FischWorks oft diskutieren. Wie weit ist es sinnvoll bei inhaltlicher Arbeit ein bestimmtes Stundendeputat fix zu definieren? Es ist schon klar, dass es so und so viel Berufe gibt, bei denen das notwendig ist. Aber bei vielen Tätigkeiten könnte man mehr zeitliche Flexibilität und weniger Zeitgebundenheit erlauben.
Letztlich stellt sich die Frage, was mit einer Anstellung einkauft wird. Bestellt man Arbeitsleistung in Zeit oder den entsprechenden Output? Würde jemand sagen, Du bekommst Lohn X für diese Arbeit und wenn Du einen Monat brauchst, super, wenn Du das ganze Jahr brauchst, selber schuld, ist wohl fraglich, wie sinnvoll das ist. Sicher können bei vielen Arbeiten, insbesondere in Führungsfunktionen, nicht genaue Stunden festgelegt werden. Aber reines Management by objectiv (nur das Ziel und gar keine Zeit vorzugeben), funktioniert in Reinkultur kaum. Bei der Fliessbandarbeit, zu der sich jeder ein- und am Ende wieder ausstempelt, lassen sich sowohl die Zeit als auch der Output genau messen. Bei vielen Arbeiten ist es aber schwierig, die Leistung exakt zu messen. Manches braucht z.B. mehr konzeptuelle Vorarbeit als anderes, und nicht immer sieht man das dem Ergebnis an. Dann ist es problematisch, nur den Output zu bewerten. Aber auch die Zeit lässt sich nicht immer messen. Gerade in Führungsfunktionen kommt es ja ständig vor, dass man auch abends, an Wochenenden oder in den Ferien Emails beantwortet. Da könnte man sich nicht immer im Zeiterfassungssystem einloggen – wenn man denn überhaupt eines hat. Am Ende ist es vor allem eine Vertrauenssache zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden.
Das Vertrauen ist sicher der Knackpunkt.
Absolut. Realistisch ist, dass man sagt, das ist die Arbeit, das ist das Ziel, wir gehen ungefähr von einer Stundenzahl X aus, und das ist der Lohn dafür. Je offener diese Punkte sind und je schwieriger sie messbar sind, desto mehr braucht es ein solides Vertrauensverhältnis. Aber Anstellungen komplett von den Komponenten Zeit oder Präsenz zu lösen, geht in der Praxis kaum.
Mehr Flexibilität in der Gestaltung der Arbeitszeit müsste aber möglich sein.
Ja, das sehe ich so. Dass man nicht mehr stempelt, dass man auch einmal in der Nacht arbeitet oder am Wochenende und dafür an einem Nachmittag frei nimmt – ich meine, da wäre deutlich mehr möglich als heute noch vielerorts gelebt wird. Nicht in einem Schichtbetrieb oder beim Präsenzunterricht, aber im Büro und sowieso in einer Führungsfunktion. Wir haben das ja im Zusammenhang mit der Homeoffice-Pflicht erfahren. Zuvor hatte man in vielen Betrieben Bedenken, ob Homeoffice umsetzbar ist. Dann musste man – und merkte: Es geht doch! Corona war und ist da sicherlich ein Treiber, der verändert hat, wie wir arbeiten. Das eine oder andere wird vermutlich bleiben.
Was spielt Deiner Ansicht nach eine Rolle, damit Führung in Teilzeit klappt?
Einerseits ist die Frage entscheidend, was eine Führungsperson konkret macht. Das ist sehr verschieden. Bei uptownBasel etwa arbeiten wir vor allem mit Externen zusammen. Das ist eine andere Art der Führung als mit vielen Angestellten. Da braucht es keine tägliche «Befehlsausgabe». Wie viele Leute unsere Auftragnehmenden dafür einsetzen und wie lange sie brauchen – darum müssen wir uns nicht kümmern. Wenn man aber mehr Leute führt und Präsenz eine grössere Rolle spielt, ist es anspruchsvoller. Aber ich meine, auch dort ist Führung «in Teilzeit» möglich. Niemand will einen Chef, der einem dauernd über die Schulter schaut. Gerade in einem sehr grossen Betrieb, und ich komme aus einem solchen, kann man ja nicht alles alleine im Griff haben, das wäre völlig illusorisch. Man führt Leute, die selbst Spitzenkräfte sind und breite Führungsaufgaben haben. Und ob man dem Betrieb 30, 40 oder 60 Stunden pro Woche zur Verfügung steht, ist meiner Meinung nach oft kein so grosser qualitativer Unterschied. Mag sein, dass das bei einem Handwerksbetrieb anders ist, wenn der Chef auch über die grösste fachliche Expertise verfügt. Aber gerade in grossen Betrieben muss der Betrieb ja auch ohne den Chef laufen. Es bleibt aber das Atmosphärische: Wenn der Chef nur drei Tage da ist und an den beiden anderen Wochentagen auf dem Golfplatz steht, stellt sich die Frage, ob das die Mitarbeitenden akzeptieren. Solche Dinge sind zu bedenken. Aber die Welt wandelt sich. Früher war der Chef nicht selten Oberst im Militär. Aber letztlich kann es dem Unternehmen egal sein, ob der CEO am Freitag ein Regiment führt, Kinder hütet, golft oder nichts tut. So oder so, wie ausgeführt, braucht es eine Vertrauensbasis, es ist ein Geben und Nehmen. Nur Flexibilität zu Gunsten der einen Seite funktioniert nicht. Und es braucht klare Absprachen.
Gab es Reaktionen auf Dein 60%-Pensum?
Nicht gross. Die Reaktionen auf meinen Kindernachmittag vulgo «Wäschetag» zu Beginn meiner Regierungsratszeit waren dagegen heftiger, auch an der Fasnacht war das ein grosses Thema. Das mag an der Prominenz des Amts gelegen haben. Aber es sind auch fast neun Jahre seither vergangen. Heute würde der «Wäschetag» wohl nicht mehr solche Wellen schlagen.