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„Homeoffice birgt die Gefahr, dass sich die Grenzen zwischen Arbeiten und Privatleben auflösen"

Jetzt ist er Realität, der zweite Lockdown in der Schweiz. Seit gestern gilt mit sehr wenigen Ausnahmen wieder eine generelle Homeofficepflicht. Und das zu einem Zeitpunkt, wo wir alle schon ziemlich Corona-müde sind. Wie kommen wir möglichst gut durch die kommenden Wochen? Wie kann man Mitarbeitende im Homeoffice motivieren und mit ihnen im Kontakt bleiben? Wie kann man Teamgeist aufrecht erhalten, wenn man sich nur noch virtuell in Meetings sieht und nicht mehr entspannter beim Kaffee zwischendurch? Mit Dr. Katharina Kufner, Psychotherapeutin in Basel, haben wir über die aktuellen ausserordentlichen Belastungsmomente gesprochen sowie über ganz konkrete Tipps für Arbeitnehmende und Arbeitgeber*innen.


FischWorks: Der Lockdown stellt für viele eine psychische Belastung dar. Aber selber kann man oft nicht richtig in Worte fassen, warum man abgeschlagener ist, müder, einem manches schwerer fällt. Was konkret führt zu diesen Gefühlen?


Katharina Kufner: Zunächst stellen COVID und damit verbundene Konsequenzen generell eine Belastungssituation dar, an man sich anpassen muss. Anpassung gelingt jedem unterschiedlich gut und kann zu Symptomen, wie den genannten, führen. Erstmal ist so eine Reaktion normal. Es ist normal, sich verunsichert, ängstlich, gestresst, isoliert, traurig oder wütend zu fühlen. Wichtig ist, diese Symptome ernst zu nehmen und einen Umgang damit zu finden.

Als Psychotherapeutin sehe ich die Corona-Krise auch als „Katalysator“: Probleme, Belastungen, die schon vorher da waren, werden durch die Krise verstärkt. Allgemein wirken sich eingeschränkte soziale Kontakte, geringe Selbstwirksamkeit, finanzielle Sorgen, geringe soziale Unterstützung oder psychische Vorerkrankungen negativ auf psychisches Wohlbefinden aus. Corona-spezifisch kommen dann z.B. Ängste vor einer Covid-Infektion, Job-Unsicherheit, Probleme bei der Vereinbarkeit von Arbeit und Kinderbetreuung, eingeschränkte persönliche Freiheit, zu wenig Zeit für sich alleine oder bei Alleinlebenden auch zu viel Zeit alleine und zu wenig Kontakte, als Belastungsfaktoren hinzu.

Das Stresserleben ist während der Corona-Krise in der Bevölkerung gestiegen. Davon sind alle – mehr oder weniger stark – betroffen und das ist bereits durch Studien belegt. Gleichzeitig fallen bewährte Stressbewältigungsstrategien (z.B. Fitnessstudio, Besuch kultureller Veranstaltungen, Treffen von Freunden) weg.


Viele arbeiten nun seit bald einem Jahr vollständig oder grösstenteils im Homeoffice, manche seit Oktober oder Dezember wieder und jetzt gilt erneut eine Homeofficepflicht für alle. Wenn ich mich umhöre, habe ich den Eindruck, das Homeoffice-Burnout könnte ein reales, belastendes Phänomen werden. Welches sind die grossen „Gefahren“ oder Belastungen im Homeoffice aus psychologischer Sicht?


Wie generell die Corona-Krise bedeutet auch Homeoffice zunächst, dass man sich an eine neue Situation anpassen muss. Neben Aspekten, die positiv erlebt werden (z.B. höhere Autonomie und Selbstbestimmung, wegfallender Arbeitsweg), stellt Homeoffice ebenfalls ein Stressor dar. Viele sind durch den Wechsel auf digitale Medien, Mehrfachbelastung (Vereinbarkeit beruflicher Tätigkeit und Kinderbetreuung) oder fehlende Rückzugsmöglichkeiten belastet. Vor allem bei Erwerbstätigen mit kleinen Kindern wurden in Studien eine erhöhte Belastung und Vereinbarkeitsprobleme festgestellt. Weitere Belastungsfaktoren im Homeoffice sind fehlende soziale Kontakte (die Kaffeepause zwischendurch, das informelle Gespräch zwischen Tür und Angel), ständige Erreichbarkeit und vollständiges bzw. vorgeschriebenes Homeoffice, anstatt eines flexibleren Wechselns zwischen Homeoffice und Büroanwesenheit, was von vielen als angenehm empfunden würde.


Manche Herausforderungen des Homeoffice sind eher struktureller Art (z.B. ist ein Schreibtisch mit ausreichend Platz und notwendigen Arbeitsmaterialien vorhanden? Steht dieser in einem abtrennbaren Raum?). Zudem stellt es für viele eine grosse Herausforderung dar, sich im Homeoffice zu organisieren. Die Gefahr ist, dass sich die Grenzen zwischen Arbeiten und Privatleben komplett auflösen und man am Ende des Tages mit dem Gefühl zurückbleibt, gar nichts richtig gemacht zu haben.


Die im Homeoffice bestehende Möglichkeit und Flexibilität, Privatleben und Arbeit miteinander enger zu verknüpfen, kann bereichernd und ein grosser Gewinn sein, muss jedoch organisiert und geplant ablaufen. Klare Strukturen und Zeitpläne sind zentral. Anstatt die Durchmischung von Arbeit und Freizeit nebenbei geschehen zu lassen, also während der Arbeitszeit auch immer wieder, wenn auch nur ganz kurz, die Spülmaschine auszuräumen oder mit dem Kind ein Spiel zu machen, ist eher kontraproduktiv. Vielmehr sollten Arbeits- und Privatzeiten bewusst geplant werden. Wichtig ist auch, ein klares Arbeitsende für den Tag zu definieren und sich zu überlegen, wie man bei fehlendem Arbeitsweg den Arbeitstag für sich beendet (z.B. mit einer Runde um den Block).


Homeoffice ist nicht nur Selbstorganisation. Vorgesetzte sehen sich mit noch anderen Herausforderungen konfrontiert. Z.B. wie sie mit ihrem Team in Verbindung bleiben, wie man sicherstellt, dass Teams, auch wenn man sich nicht sieht, nicht auseinander fallen, und wie Ziele eingehalten werden können. Wie schaffen das Vorgesetzte und was gilt als No-Go?


Da gibt es in der Tat einiges, was man machen kann. Diese Dinge sind für die allermeisten einfach umzusetzen und sehr effektiv:


1) Klare Anweisungen geben, denn es fehlt die Möglichkeit, vor Ort schnell informell nachzufragen. Immer nachfragen, ob die Mitarbeitenden alles verstanden haben, um Missverständnissen und somit unnötigen, längeren Arbeitsprozessen vorzubeugen. Rasches Feedback an die Mitarbeitenden beschleunigt zudem den Arbeitsprozess.


2) Gemeinsame To-Do-Listen für das jeweilige Team erstellen, auf die alle Teammitglieder Zugriff haben. So ist für jede*n ersichtlich, an was andere gerade arbeiten. Dies beugt dem Gedanken vor, dass sich andere Team-Mitglieder vielleicht grade „einen faulen Lenz“ machen und stärkt zugleich den Team-Gedanken, an etwas gemeinsam zu arbeiten.


3) Nicht Dauererreichbarkeit von Mitarbeitenden (und sich selbst) verlangen, sondern feste Zeiten vereinbaren, zu denen Mitarbeitende erreichbar sind. Zudem feste Termine vereinbaren, zu denen Sie miteinander telefonieren oder sich zum Video-Chat verabreden.


4) Sprechstunden einführen, in denen Sie für Fragen, die normalerweise zwischen Tür und Angel gestellt werden, erreichbar sind.


5) Znüni-Pausen, gemeinsames Mittagessen o.ä. via Video-Chat organisieren, um sozialen Austausch und das Teamgefühl zu fördern und zu stärken.


6) Vertrauen in Mitarbeitende haben (nicht misstrauisch werden, wenn diese nicht sofort ans Telefon gehen). Gehen Sie davon aus, dass Mitarbeitende ihr Bestes geben.


7) Verständnis für schwierige Situation zeigen. Falls es möglich ist, flexible Lösungen gemeinsam mit Mitarbeitenden suchen.


Welche Strategien helfen, trotz Homeoffice, weniger sozialen Kontakten und weniger Abwechslung, möglichst gut durch den Alltag zu kommen?


Konkret auf die Arbeit im Homeoffice bezogen, hilft:


1) Fixe Arbeitszeiten einhalten (vermeiden Sie das typische „schnell Mal zwischendrin etwas erledigen“). Klare Grenzen zwischen Privatleben und Homeoffice beibehalten.


2) Schaffen Sie sich möglichst gute Arbeitsbedingungen. Entdecken Sie die Vorteile.


3) Tragen Sie Arbeitskleidung, die Sie dann auch wechseln, wenn Sie die Arbeit beendet haben.


4) To-do-Listen erstellen.


5) Bewusst Pausen machen (virtuelle Kaffeepausen mit Kolleg*innen, sich kurz bewegen).


6) In Kontakt bleiben (Austausch per Video oder telefonisch).


7) Möglichst klare Kommunikation mit Kolleg*innen und Vorgesetzten: Lieber einmal zu viel nachfragen, wenn ein Auftrag noch etwas unklar ist.


8) Bei Homeoffice mit Kindern: Wenn beide Elternteile arbeiten, gut absprechen, wer wann seine „Kernarbeitszeit“ hat und wer für die Kinder zuständig ist. Kindern/Familienmitgliedern die Situation erklären. Warum man zuhause ist, aber dennoch nicht „verfügbar“, ist für Kinder je nach Alter schwierig zu verstehen. Rituale beibehalten, z.B. sich „zur Arbeit verabschieden“, das Ende der Arbeitszeit deutlich kommunizieren, am Abend von der Arbeit erzählen. Mit Kindern bewusst gemeinsame Aktivitäten für die Pausen und/oder nach der Arbeit planen.


Und ganz allgemein:


1) Die Tagesstruktur beibehalten, ein Highlight pro Tag planen, auf das man sich freuen kann.

2) Trotz der widrigen Umstände: Soziale Kontakte pflegen (telefonieren, Video-Chat, mal wieder eine Postkarte schreiben). Dies ist nicht nur für Alleinstehende wichtig.

3) Für Bewegung sorgen (rausgehen, an Fitness-Challenges teilnehmen, online Sportklassen mitmachen).

4) Bewusster Medienkonsum (sich feste Zeiten für TV, Internet, Handy-Nutzung festlegen).

5) Kreativ Beschäftigungsmöglichkeiten überlegen.

6) Wenn möglich, Hobbies weiterhin ausüben oder neue, eigene Projekte umsetzen.


7) In Familien und Paarbeziehungen: Vereinbaren Sie Rückzugsmöglichkeiten.








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