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«Man steuert das Schiff nach rechts und sieht sofort, wie sich dieser Tanker dreht»

Für unser erstes insights & outlooks-Interview haben wir mit Ulrike Erbslöh, kaufmännische Direktorin der Fondation Beyler (Riehen/BS), über Erfahrungen und Lehren aus und in der Coronakrise, über motivierte Mitarbeiter*innen im Homeoffice, Generationenunterschiede und Diversity gesprochen. Vielen Dank Ulrike, für das interessante Gespräch!


FischWorks: Aus aktuellem Anlass: wie hast Du aus Führungsperspektive das letzte halbe Jahr erlebt?

Ulrike Erbslöh: Das ist eine interessante Frage – in gewisser Weise wurde man auf den Kern der Führung zurückgeworfen. Da die Krise sehr schnelle Entscheidungen forderte, nahm man automatisch eine viel hierarchischere Führung an. Die Krise spitzte sich ja innerhalb von wenigen Tagen zu, dann mussten wir innerhalb von wenigen Stunden das Museum schliessen und sowohl für das Team als auch für die Besucher die besten Entscheidungen treffen. Wir mussten also sehr schnell entscheiden, obwohl man noch wenig wusste. Dadurch wird man zurückgeworfen auf das Kerninstrumentarium, erstmal sich selbst zu vertrauen und zu schauen, wie man schnell entscheiden, aber auch schnell umsetzen kann. Zugleich muss man dem Team das Gefühl geben, dass man die Krise in der Hand hat und sich jede*r auf die Direktion verlassen kann. Das ist natürlich auch in allen anderen Situationen gegeben, aber es ist den meisten Mitarbeitern nicht so präsent. Und jetzt gab es diesen Blick auf die Direktion: «führe uns durch die Krise, triff die Entscheidungen und gib uns das Vertrauen, dass wir hier durchkommen».

Auf der anderen Seite musste man dem Team noch mehr Vertrauen entgegenbringen als gewöhnlich: Man muss z.B. darauf vertrauen können, dass die Mitarbeitenden sich sofort krank melden, wenn sie Symptome fühlen; man muss darauf bauen können, dass sie im Homeoffice konzentriert arbeiten und im Austausch mit den Kollegen bleiben. Ich habe es als eine sehr herausfordernde Zeit erlebt, zu gleicher Zeit aber auch wahnsinnig interessant und motivierend. Es hat mir Freude gemacht, das Ergebnis des eigenen Handelns oder der Entscheidungen, die man trifft, sofort zu sehen: Man steuert das Schiff nach rechts und sieht sofort, wie sich dieser Tanker dreht. Das erfährt man im normalen Alltag in der Regel nicht so unmittelbar.

Das Vertrauen in die Mitarbeiter im Homeoffice hast Du angesprochen. Hast Du kontrollieren müssen, ob und wie viel gearbeitet wird?

Überhaupt nicht. Es gab keinen Moment des Zweifelns. Für die Mitarbeiter*innen war es auch wichtig zu spüren, dass die Direktion ihnen vollkommen vertraut. Umgekehrt waren Sam [Sam Keller, Direktor der Fondation Beyeler] und ich quasi Tag und Nacht für das Team da. Es gab da eine wechselseitige Dynamik. Die Mitarbeiter*innen signalisierten auch, dass sie dazu beitragen wollten, das Museum auf Kurs zu halten, während wir noch nicht so gut einschätzen konnten, wie jetzt die Zukunft aussieht.

Was man aber merkte: Nach einer zunächst grossen «Aufmerksamkeit» im Homeoffice kam irgendwann auch ein Nachlassen der Produktivität. Manche Themen kann man sehr gut im Homeoffice bearbeiten oder über digitale Meetingtools abhandeln – das sind eher die sachlichen und organisatorischen Themen. Sobald man aber gemeinsam Kreativität entwickeln muss oder komplexere Probleme lösen, die auch mal einen Moment des Innehaltens brauchen – da merkt man, dass einen die digitale Kommunikation beschränkt. Die Produktivität nahm etwas ab, einfach weil die richtigen Menschen nicht mehr zueinander kamen.

Würdest Du sagen, die Art und Weise des Zusammenarbeitens hat sich durch die Coronakrise für die Zukunft verändert oder dass man wieder ziemlich stark zur alten Normalität zurückgehen wird?

Das ist momentan noch schwierig zu sagen. Genau wie es schwierig ist zu sagen, ob wir wieder alle viel fliegen werden, sobald das Virus eingedämmt ist. Aber ich finde, dass wir wirklich einen digitalen Schub mitgemacht haben. Alles Digitale ist viel präsenter geworden in unserem Alltag. Onlinemeetings und Homeoffice sind jetzt mit weniger Zweifel oder Misstrauen belastet. Das wird in Zukunft schon unsere Arbeit verändern. Aber wir werden in unserem Betrieb wohl nicht dazu übergehen, strikte Regeln einzuführen, sagen wir 50% Homeoffice und 50% Anwesenheit im Museum. Generell schätzen wir es, wenn unsere Mitarbeiter im direkten und persönlichen Kontakt sind und ich finde, diese Art von Austausch wird durch einen übermässigen Einsatz von Homeoffice zu sehr beschränkt. Man wird eine gute und sinnvolle Mischung finden müssen. Für mich geht es beim Homeoffice eigentlich darum, dass der Mitarbeiter mehr Freiheit und Flexibilität erfährt und sich nicht mehr an dieses «nine to five» – oder in unserem Fall dann gerne mal «9 to 7, 8 oder 9» – gebunden fühlt. Und da wir ja auch viele kreative Berufe im Haus haben, sollen Mitarbeiter auch das Gefühl haben, freier entscheiden zu können, ohne dass daran gezweifelt wird, dass man produktiv ist. Ich glaube, diese Veränderung hat stattgefunden. Diesem Vertrauen müssten wir Direktoren Raum geben.

Vertrauen in die Mitarbeiter*innen hat auch viel mit deren Loyalität zu tun. Wie gewinnt man loyale Mitarbeiter?

Das ist ein grosses Kapitel. Also im Museum ist es ja sowieso so, dass viele – selbst die, die nicht inhaltlich arbeiten wie etwa die Kuratoren – eine Art intrinsische Motivation mitbringen. Da gibt es einfach eine inhaltliche Verbindung zur Kunst und einen Willen, hier zu arbeiten. Da haben wir schon einen grossen Vorsprung gegenüber vielen anderen Betrieben oder Instituten. Ich glaube jedoch, es ist immer ein Mix. Offentheit, Kommunikation, transparente Strukturen, schnelle Entscheidungswege und viel Raum für Kreativität und Selbstbestimmung sind wichtige Aspekte, um Loyalität gewinnen zu können. Aber auch bei uns ist ein monetärer Anreiz sicher wichtig, wenn auch nicht in allen Positionen gleich stark. Bei Mitarbeitern, die inhaltlich arbeiten, ist das Monetäre sicher wichtig etwa im Vergleich zu anderen Arbeitgebern in derselben Region, aber nicht entscheidend. Bei Mitarbeitern, die mehr kaufmännisch oder organisatorisch arbeiten, ist i.d.R. auch eine intrinsische Motivation vorhanden, in einem Museum arbeiten zu wollen, aber gerade diese Mitarbeiter könnten auch in einer anderen Branche eine ähnlich herausfordernde und interessante Aufgabe finden. Hier ist der gute Mix aus den genannten inhaltlichen Punkten, monetären Anreizen und Entwicklungsmöglichkeiten gepaart mit einer Auswahl an «fringe benefits» wie z.B. Weiterbildungsangeboten, Urlaubstage oder Parkplatzangebot sicher noch einmal wichtiger.

Arbeiten jüngere Mitarbeiter, die sogenannten Millennials (1980- 1990) bzw. die „Generation z“ (ab Jahrgang 2000) anders als die ältere Generation? Und wie alt sind bei Euch die Jüngsten?

Bei uns sind die Jüngsten Ende 20 – so 27, 28. Und das ist eine interessante Frage, über die wir viel reden. Sie ist aber nicht einfach zu beantworten, ohne in Stereotypen zu verfallen. Man kann generell aber feststellen, dass es bei jüngeren Mitarbeitern ein grösseres Bewusstsein für die berühmte Work-Life-Balance gibt. Ich kann mich nicht erinnern, dass in meiner Generation, aber auch nicht in der Generation danach, ein sehr junger Mitarbeiter über Teilzeitarbeit verhandelt hätte. Aber jetzt habe ich hier manchmal Berufseinsteiger, die nur 80% arbeiten möchten, auch wenn noch keine Kinder im Spiel sind. Es ist einfach ein Bedürfnis nach mehr Freizeit. Das ist interessant, denn aus meiner Generation kommend ist man gefordert, umzudenken, und das nicht automatisch als Ausdruck fehlender Motivation zu bewerten. Man muss urteilsfrei erst mal schauen, was der Wunsch nach Teilzeitarbeit im jeweiligen Einzelfall heisst.

Die Jüngeren sind in der Regel auch selbstbewusster und haben mehr Selbstvertrauen in ihre Fähigkeiten. Im guten Fall hat man dann jemanden, der oder die schnell auf hohem Niveau einsteigt. Wenn man gut ausgebildet ist, hat man das Potenzial, rasch ein*e gute*r Sparringpartner*in zu sein für eine*n Vorgesetzte*n oder Kollegen*innen. Im negativen Fall, und das erlebt man auch, hat man Mitarbeiter, die relativ schnell aufgeben, weil sie vielleicht das Bessere um die Ecke vermuten. Viele sind auch nicht so sozialisiert, dass sich manchmal einfach durchbeissen muss, wenn Dinge nicht sofort klappen. Es fehlt in diesen Fällen dann ganz einfach an Kritikfähigkeit. Und manche junge Menschen überschätzen ihre Fähigkeiten oder das, was sie an Erfahrung mitbringen, oder sie denken, dass was sie studiert oder gelernt haben, auf einem gleichem Niveau steht mit Erfahrung und Routine. Es scheint mir so, dass in früheren Generationen der Wille Routine zu erlernen, mehr gegeben war. Das sage ich völlig wertfrei. Das eine ist nicht besser als das andere. Unsere Generation kommt aus einer ganz anderen Idee von Hierarchien und des Sich-Unterordnens und hat dadurch das eigene Potential teils auch relativ spät oder sogar zu spät entfalten können. Es gibt neue Entwicklungen und zwei Seiten und das verlangt von Vorgesetzten, offen zu sein und zu lernen. Das wird oft missverstanden.

Stichwort diversity: Ist die Männer-Frauen-Balance ein Thema in der Fondation Beyeler und welchen Stellenwert misst Du dem ganz persönlich bei?

Eher andersrum, denn wir haben in der Fondation 65% Frauen und 35% Männer. Generell ist auf jeder Ebene zwar eine recht gute Balance gegeben, aber hin und wieder schauen wir tatsächlich aktiv auf die Teamzusammensetzung. Auch wenn am Ende immer die Qualität des zukünftigen Mitarbeitenden entscheidet, gibt es schon mal eine Situation, in der wir überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre mal wieder einen Mann ins Team zu holen, und dann müssen wir Bewerbungen gezielt darauf hin anschauen, denn wir erhalten in der Regel sehr viel mehr Bewerbungen von Frauen als von Männern. Ganz anders ist es in den Aufsichtsgremien der Kulturinstitute – in der Schweiz und auch in anderen Ländern. Bei den Verwaltungsräten, in den Boards of Trustees oder unter Stiftungsräten ist die Frau-Mann-Balance deutlich zu Gunsten der Männer. Also wenn man in die höchsten Führungsebenen der Kultur schaut, sehe ich ein Manko. Dafür, dass zunehmend mehr Frauen in diese Ebenen vordringen können, lobbyiere ich aktiv. Ich denke aber, dass auch das eine Generationenfrage ist, die sich Schritt für Schritt lösen wird. Aus den Niederlanden beispielsweise kenne ich es, dass schon stärker auf Gender Diversity, aber auch generell auf Cultural Diversity geachtet wird. Auch bei uns wird sich mehr und mehr durchsetzen, dass man auf die Zusammensetzung schaut, sowohl was Herkunft als auch was Gender angeht.


Foto Judith Warringa.

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