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Standortattraktivität als Garant für hochqualifizierte Arbeitskräfte?
Aktualisiert: 18. Apr. 2021
Insbesondere grössere Schweizer Städte gelten in Europa traditionell als attraktive Wirtschaftsstandorte und stehen dabei in einem intensiven Wettbewerb. Durch geeignete Rahmenbedingungen versuchen sie international tätige Firmen und hochqualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen. Denn die Vorteile liegen auf der Hand. Ein attraktiver Wirtschaftsstandort zieht Investitionen von Firmen an, was neue Arbeitsplätze schafft und Wohlstand bringt.
Der jährlich ermittelte Indikator für Standortattraktivität der Credit Suisse erlaubt einen Überblick, wie die Schweizer Kantone dastehen und sich entwickeln. Aktuell führt der Kanton Basel-Stadt das Ranking an, dicht gefolgt von Zug. Wichtige Einflussfaktoren für die Standortattraktivität sind die Steuerbelastung von juristischen wie auch von natürlichen Personen, die Verfügbarkeit von hochqualifizierten Arbeitskräften, die Erreichbarkeit von Flughäfen, die Digitalisierung, eine gute Infrastruktur sowie ein funktionierendes Standortmarketing. Gemäss der Credit Suisse Studie dürfte der Umbau der Unternehmensbesteuerung einen grossen Einfluss auf die Attraktivität haben. Mit der Annahme des im Mai 2019 angenommenen Bundesgesetzes über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF) haben die Kantone die Möglichkeit, ihre Attraktivität über die Steuerschraube zu steigern .
Doch was macht einen attraktiven Standort überhaupt aus und bringt er Firmen für die Rekrutierung hochqualifizierter Führungs- und Fachkräfte einen Mehrwert?
Mit Tina Haisch, Professorin an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und Expertin für wirtschaftliche Regionalentwicklung und Innovationsförderung, haben wir über die Standortattraktivität in Bezug auf die Rekrutierung von hochqualifizierten Arbeitskräften, sogenanntem «Humankapital», gesprochen.
FischWorks: Tina, zuerst eine Definition, was versteht man überhaupt unter «Humankapital»?
Humankapital meint generell hochqualifizierte Personen, nicht zwingend nach Bildungsabschluss definiert, es können auch andere Kriterien miteinbezogen werden. Gemeint ist das Potenzial an Kreativitäts- und Arbeitskräftemasse, die man in einer Region zur Verfügung hat.
Was hat Humankapital mit regionaler Attraktivität zu tun?
Das ist eine Verbindung, die man in zwei Richtungen anschauen kann. Lange ist man von der Prämisse ausgegangen, dass man nur genügend Jobs schaffen müsse, damit die Arbeitskräfte, also Humankapital, in die jeweilige Stadt oder Region ziehen. Die Attraktivitätsdiskussion gab es früher noch weniger. Die Ansätze etwa seit den 2000-er Jahren sagen dagegen, dass die regionale Attraktivität ausschlaggebend dafür ist, wie viel und wie gutes Humankapital eine Region hat. Durch eine hohe Attraktivität – dazu gehört zum Beispiel auch der Kultursektor, Sicherheit, gute Schulen, das Bildungssystem ganz allgemein, das Gesundheitssystem usw. – kann eine Region ihr Humankapitalpotenzial steigern. Es gibt also zwei Kausalitäten: Zum einen zieht Produktion Humankapital an, dann spricht man von «people follow jobs». Zum anderen gibt es auch den Effekt «jobs follow people», d.h. eine attraktivere Region hat ein hohes Humankapital, und dann ziehen auch Firmen dort hin und damit neue Arbeitgebende, die wieder neue Stellen anbieten. Das entwickelt sich immer weiter, da gibt es aus meiner Sicht keinen Anfang und kein Ende, und das verstärkt sich dann natürlich immer wieder.
Gibt es Branchen, in denen diese Mechanismen stärker feststellbar sind als in anderen? Also z.B. dass gutes Humankapital im Bereich Banking eher nach Zürich geht und gutes Humankapital in Life Sciences eher nach Basel?
Nein, das eigentlich nicht. Aber natürlich ist eine Region nicht generell für jede Branche gleich attraktiv wie eine andere. Beispielsweise ist Basel besonders attraktiv für den Life Science Sektor, Zürich dagegen attraktiver fürs Banking. Also die Grösse eines Wirtschaftssektors an einem Ort ist auch ausschlaggebend. In diesem Zusammenhang sind Cluster wichtig, also eine Ballung von Unternehmen aus über Wertschöpfungsketten verbundenen Sektoren, in denen ähnliche Kompetenzen gefragt werden. Das hat man z.B. in der Life Sciences-Branche in Basel sehr stark. Wenn sich jemand entscheidet, mit der ganzen Familie hierher zu kommen und hier zu leben, ist das eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen – die Kinder gehen dann hier zur Schule, Ehepartner gaben möglicherweise ihre Stellen auf etc. Deswegen will man an einem Ort, an den man wegen seines Jobs zieht, eine relative Sicherheit haben, dort innerhalb einer Branche auch einen anderen Job zu finden.
Eine Frage zum Einfluss der zunehmenden Digitalisierung und Standortattraktivität: Im Prozess der Digitalisierung stecken wir schon lange, aber gerade in der Arbeitswelt hat es eigentlich erst jetzt im letzten Jahr einen richtigen Schub gegeben. Denkst Du das wird einen Einfluss haben auf Faktoren wie regionale Attraktivität?
Ich kann mir das gut vorstellen. Es gibt jetzt schon Topmanager aus dem Silicon Valley, die ihren Wohnsitz verlagert haben, weil sie jetzt verschiedene neue Technologien viel besser kennen gelernt haben, Zoom beispielsweise. Ich habe von jemandem gelesen, der dank Zoom und weil Corona ihn gezwungen hat, umzustellen, seinen Wohnsitz vom Silicon Valley nach Hawaii verlegt hat, weil er nicht mehr in Kalifornien leben wollte. Und er hat 300-400 Mitarbeitende in Kalifornien. Ein anderer ist aus dem Silicon Valley nach Texas gezogen. Grund für solche Bewegungen sind negative Externalitäten, Effekte wie Stau oder überteuerte Wohnpreise. Das ist nicht mehr attraktiv. Wenn negative Externalitäten überhand nehmen, und das ist im Silicon Valley zunehmend der Fall, dann wird eine Region unattraktiv. Es kippt also irgendwann. Zuerst nimmt die Attraktivität zu und am tipping point nimmt sie wieder ab. Dann flüchten die, die es sich leisten können – vom Freiheitsgrad her oder finanziell – und das sind die, die zuvorderst als Humankapital bezeichnet werden. Sie suchen sich dann einen Wohnort oder ein Lebensumfeld, das angenehmer ist. Wie Texas zum Beispiel, wo immer die Sonne scheint, wo aber noch keine überhöhten Wohnungspreise herrschen und es noch Land und Natur gibt zum Atmen, wo es noch nicht so dicht ist. In der Schweiz zeigen sich zum Beispiel in Zürich negative Externalitäten u.a. durch ein sehr hohes Verkehrsaufkommen, welches zeitweise zur Überlastung des Ballungsraums führt.
Und ich glaube, dass sich durch die Digitalisierung hier vieles verschieben wird. Menschen in gewisserweise bevorzugten Stellungen können sich z.B. eher ihren Lebensort aussuchen, wohingegen andere ihre Stelle verlieren. In diesem Effekt steckt also leider auch ein grosses Potential an Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Weil durch Corona Homeoffice salonfähig geworden ist, könnte es aber auch für mehr Leute möglich werden, ihren Lebensort in attraktive Regionen zu verlagern.