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Teilzeitpensen, flexible Arbeitsmodelle und eine hohe Produktivität sind kein Widerspruch
Mit Kaspar Sutter, seit Februar Regierungsrat in Basel-Stadt und Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Soziales und Umwelt, haben wir über seinen Start ins Amt unter Coronabedingungen gesprochen. Aber auch über Wichtigeres: über drängende wirtschaftliche und soziale Herausforderungen sowie über Fragen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, einem Thema, für das er sich als Politiker schon lange stark gemacht hat, und über das er als Familienvater wie auch als Vorgesetzter sprechen kann.

Annina Fischer: Im Februar haben Sie Ihr Amt als Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Soziales und Umwelt angetreten. Unter ungewöhnlichen Bedingungen – nicht nur weil Sie in Quarantäne starten mussten. Wie ist es Ihnen ergangen?
Kaspar Sutter: Es war ein intensiver Start. Das Amt ist anspruchsvoll, das Departement breit mit sehr vielen Themen und sehr vielen, sehr motivierten Mitarbeitenden, die man alle kennenlernen will. Das Kennenlernen ist aber erschwert, durch die Homeofficepflicht etwa, das bedaure ich sehr. Und meine Quarantäne just in der Zeit des Amtsantritts hat ja auch konsequent dazu geführt, dass ich die ganze Arbeit komplett online, von zu Hause aus, aufnehmen musste, die ganzen Führungs- und inhaltlichen Aufgaben. Das war vor allem zwischenmenschlich herausfordernd. Inhaltlich hat es sehr gut funktioniert. Meine Arbeit ist sehr spannend und ich bin sehr motiviert, aber ich freue mich auch, wenn wieder mehr Begegnungen mit den Mitarbeitenden meines Departements möglich sind.
Sie haben es schon angetönt, die Führungsherausforderungen sind andere, wenn die Mitarbeitenden im Homeoffice sind, und man sich nur im virtuellen Raum sieht. Das ist schon herausfordernd, wenn man sein Team bereits kennt, Sie mussten die Menschen aber erst einmal kennenlernen. Wie haben Sie versucht, einen persönlichen Draht zu Ihren Mitarbeitenden aufzubauen?
Ich habe schon im Januar Freilufttreffen organisiert. In der Kälte zwar, aber so waren echte Begegnungen coronakonform möglich. Das war ein Teil meines Einstiegs, um die Menschen kennenzulernen. Die Führungsaufgaben an sich funktionieren aber online sehr gut, auch politische Geschäfte und organisatorische Aufgaben sind online gut möglich. Da sehe ich weniger Probleme.
Die Coronapandemie hat riesige wirtschaftliche Herausforderungen gebracht, die man noch nicht vollkommen absehen kann. Wo sehen Sie die grössten und wichtigsten Herausforderungen in den kommenden Monaten und Jahren?
Im Vordergrund stehen die kurzfristigen Massnahmen. Es ist mir ein grosses Anliegen, dass der Staat in jenen Branchen unterstützend wirkt, die von der Pandemie besonders betroffen sind. Die Krise ist ja wirtschaftlich gesehen sehr ungleich verteilt. Manche Branchen leiden stark, z.B. die Gastronomie, die Hotellerie, die Reisebranche und die Kulturschaffenden. Glücklicherweise gibt es andererseits auch Branchen, die wirtschaftlich kaum betroffen sind. Aufgrund dieses Ungleichgewichts und weil gewisse Branchen enorm stark betroffen sind, sehe ich uns gesellschaftlich und damit den Staat in der Pflicht, diesen Branchen zu helfen. Auch wenn man nicht alle Ausfälle kompensieren kann, so leisten die Unterstützungen doch einen wichtigen Beitrag dazu, dass Betriebe nach der Krise hoffentlich möglichst dort ansetzen können, wo sie vor der Pandemie standen. Mittel- und langfristig werden wir sehen müssen, was für strukturelle Veränderungen die Krise hinterlassen wird, zum Beispiel in der Reisetätigkeit oder in den Formen, wie wir arbeiten. Im Moment stehen aber ganz klar die kurzfristigen Hilfen im Fokus.
Die Krise muss aber auch unter dem sozialen Aspekt betrachtet werden. Da bin ich sehr froh, dass das Instrument Kurzarbeit recht gut funktioniert. Firmen und Angestellte haben dadurch die Chance, nach dem Ende der Massnahmen weiterarbeiten zu können und zwar im gleichen Betrieb. Das stärkt auch die Kaufkraft und damit unsere Wirtschaft. Trotzdem liegen die Arbeitslosenzahlen gut ein Drittel höher als vor einem Jahr, es gibt mehr Stellensuchende, und es werden noch mehr werden, wenn die Ansprüche auf Kurzarbeit aufhören. Mit einem späteren Effekt werden wir das auch in der Sozialhilfe spüren. Je länger die Krise dauert, desto stärker werden wir sozial gefordert sein und sicherstellen müssen, dass unsere Sozialwerke die nötige Stütze für die betroffenen Menschen bieten können.
Die wirtschaftlichen und sozialen Themen, die Sie genannt haben, dominieren momentan vermutlich Ihren Alltag. Welche weiteren Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?
Die Themen Innovation und Start-ups finde ich sehr wichtig. Es hat mich deswegen besonders gefreut, dass ich beim Jubiläum zum 10-jährigen Bestehen des Technologieparks meinen ersten offiziellen Auftritt hatte. Es ist wichtig, dass die Innovationskraft unserer Firmen erhalten bleibt, und dass auch neue Firmen entstehen mit neuen Produkten und neuen Dienstleistungen. Neues zu ermöglichen, ist ein wichtiger Aspekt, um als Staat einen Strukturwandel zu begleiten.
Wichtig ist mir auch der Klimaschutz. Trotz Krise dürfen wir dieses Thema nicht vergessen. Ich bin zum Beispiel froh, dass eines der ersten grossen Geschäfte, die ich im Parlament vertrete, den Ausbau der Fernwärme betrifft, konkret, dass wir die Wärmeversorgung in unserem Kanton decarbonisieren und so einen wichtigen Schritt in die Richtung einer klimaverträglichen Zukunft machen. Gesetzlich haben wir bereits festgeschrieben, dass eine Heizung, die erneuert wird, mit erneuerbarer Energie laufen muss. Die Fernwärme stellt hier eine sehr gute Lösung dar, für welche die IWB auch die Infrastruktur anbieten kann, so dass der Wechsel für Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer gut stattfinden sollte. Das erachte ich als ein sehr wichtiges Projekt in meinem Departement.
Bevor Sie Regierungsrat waren, haben Sie sich als Politiker unter anderem für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stark eingesetzt. Dieser Balanceakt ist für viele nach wie vor eine grosse Herausforderung. Wo sehen Sie im Bereich Vereinbarkeit heute den grössten Handlungsbedarf, ob von Seiten der Politik, der Arbeitgebenden oder auch Arbeitnehmenden?
Zunächst braucht es ein noch besseres, möglichst einfaches Betreuungsangebot, möglichst nahe an den Schulen, und es muss auch die Ferien abdecken. Aber auch Arbeitgebende müssen merken – und das merken immer mehr –, dass es letztlich in ihrem Interesse ist, ihren Mitarbeitenden die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ermöglichen, wenn sie gute Leute haben und halten wollen. Auch als Chef finde ich, dass es die Struktur eines Betriebs stärkt und die Organisation besser funktioniert, wenn sie mit Teilzeitarbeitenden funktioniert. Wenn Fulltimeleute von einem auf den anderen Tag ausfallen, hat man ein Problem. Hat man hingegen eine Struktur mit guten Stellverstretenden und eine Organisation, bei der man auch ein oder zwei Tage fehlen kann und es läuft trotzdem weiter, hat man betrieblich ein kleineres Risiko. Bei Menschen, die 130% und mehr arbeiten, ist zum Teil ein grosses Wissen «geparkt», von dem im Betrieb sonst niemand etwas weiss, und das man kaum in nützlicher Frist rekonstruieren kann, wenn diese Person plötzlich fehlt.
Aus aktuellem Anlass muss man aber auch sagen, dass die Coronapandemie den Geschlechterbias wieder akzentuiert hat. In puncto Gleichstellung gab es gesellschaftlich einen Rückschritt. Zum einen liegt es daran, dass einige Branchen von der Pandemie besonders hart getroffen sind, in denen viele Frauen arbeiten. Zweitens: wenn Homeschooling ansteht und der Betreuungsaufwand grösser wird, ist es sehr oft die Frau, die diese Doppelbelastung leisten muss. Für die Gleichstellung war diese Pandemie nicht hilfreich. Ausser dass sie auch gewisse typische Frauenberufe wieder stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt hat.
Sie haben es angesprochen, Vereinbarkeit von Beruf und Familie braucht nicht nur Betreuungsangebote, sondern auch die Bereitschaft von Arbeitgebenden, gewohnte Strukturen zu ändern und flexiblere Arbeitsmodelle zu ermöglichen. Manche Arbeitgebende möchten etwas ändern, sie wissen aber nicht, wo und wie anfangen. Was ist Ihr Tipp, wo man als Arbeitgeber*in ansetzen kann?
Teilzeit ermöglichen, auch auf Führungsebene und auch für Männer. Das darf nicht geschlechterabhängig sein. Man sollte eine gewisse Flexibilität auf Seiten der Arbeitnehmenden zulassen – da könnte die Krise übrigens helfen, weil beispielsweise Homeoffice an Akzeptanz gewonnen hat. Und zuletzt sollte man ganz grundsätzlich auf die Vereinbarkeitsbedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen. Es ist schon klar, dass für viele Stellen Kleinstpensen, z.B. 40%, nicht sinnvoll sind. Andererseits bin ich überzeugt, dass jemand, der 60, 70 oder 80% arbeitet, auf die Stunde umgerechnet oft eine höhere Produktivität hat, als jemand, der 100% arbeitet. Darin zeigt sich auch, dass es grösstenteils sehr motivierte Menschen sind, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie anstreben, und die in der Zeit, in der sie arbeiten, auch vollen Einsatz leisten.
Um das Thema Homeoffice nochmals aufzunehmen: Ohne die aktuelle Notwendigkeit dazu hätte es sicher nicht so schnell an Akzeptanz gewonnen. Was wird davon, wie wir jetzt in der Pandemie arbeiten, wohl übrigbleiben, wenn wir es nicht mehr müssen?
Ich denke schon, dass ein Teil dessen, wie wir heute arbeiten, bleiben wird. Natürlich vermissen wir die richtigen Begegnungen und es gibt Dinge, die man lieber nicht im virtuellen Raum besprechen will, zum Beispiel konfliktuelle Themen. Die direkte Begegnung wird wichtig bleiben, danach sehnt man sich ja auch zurück. Aber es zeigte sich auch, dass manche Formate online fast besser funktionieren als real, weil man zielgerichteter und dadurch effizienter ist. Und bei internationalen und schweizweiten Betrieben fällt enorm viel Reisezeit weg. Wenn man auch nach der Pandemie die ganzen Geschäftsreisebewegungen reduzieren kann, weil manche Meetings virtuell stattfinden können, bringt dies neben einer Zeit- auch eine Kostenersparnis. Deswegen denke ich, dass ein Teil unserer momentanen Arbeitsweise bleiben wird. Manche Arbeitgebende haben auch schon losgelöst von der Homeofficepflicht die vorgegebene Präsenzzeit am Arbeitsplatz gesenkt, wodurch Bürofläche gespart werden kann. Dieser Prozess war schon vor der Krise im Gang und zeigte sich u.a. darin, dass in Betrieben immer häufiger gar keine festen Arbeitsplätze mehr vorgesehen sind, oder auch darin, dass Einzelbüros schon lange immer seltener werden. Vor allem durch den Akzeptanzgewinn von Homeoffice und diversen digitalen Tools hat die Krise diese Entwicklung aber beschleunigt.
Kaspar Sutter (45) ist seit Februar 2021 Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Soziales und Umwelt und vertritt in dieser Funktion den Kanton u.a. auch im Verwaltungsrat des EuroAirport und der Schweizerischen Rheinhäfen.
Er studierte Wirtschaft und Staatswissenschaften an der Universität Basel, der Sciences Po Paris und an der Universität St. Gallen. Nach ersten Berufsjahren für die SP Schweiz arbeitete er von 2004 bis 2009 bei SBB Cargo, am Hauptsitz für die Geschäftsleitung und in Italien als Projektleiter. Von 2009 bis Anfang 2017 war Kaspar Sutter Generalsekretär des Finanzdepartements Basel-Stadt. Im Oktober 2016 wurde er in den Grossen Rat gewählt. Parallel führte er seine Firma zur Beratung von öffentlichen Körperschaften in den Themen Strategie, Finanzen und politische Prozesse.