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Warum Faszination, Offenheit und Enthusiasmus wichtiger sind als ein perfekter Lebenslauf

In der heutigen Arbeitswelt werden Kompetenzen, die über das rein Fachliche hinausgehen, immer wichtiger. Arbeitgeber*innen suchen nicht nur ausgezeichnet ausgebildete Fachexperten, sondern umfassend gebildete Persönlichkeiten, die sich einer gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Verantwortung bewusst sind und auch danach handeln. Dabei ist ein gesunder Menschenverstand, integratives Denken und vor allem die Begeisterung und Offenheit für ein Thema besonders wichtig. Mit Marcel Tanner konnten wir über seine Erfahrungen sprechen, wie man unterschiedliche Menschen und Meinungen zusammenbringt, warum Neugierde und Offenheit die Basis für ein erfolgreiches Berufsleben sind und darüber warum es den idealen Kandidaten nicht gibt.


Marcel Tanner


Als Präsident der Akademien der Schweiz, Direktor emeritus des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts, Präsident oder Mitglied verschiedener Gremien und Organisationen sowie Mentor und Förderer junger Forschender und Studierender bist Du mit vielen unterschiedlichen Menschen aus der Wissenschaft, Politik und Wirtschaft im Austausch und mit vielfältigen Meinungen konfrontiert. Wie gelingt es Dir, diese unterschiedlichen Ansprüche zusammen zu bringen?


Die Frage ist eigentlich, wie gelingt es, Menschen zusammen zu bringen. Und ich hatte eigentlich nie Schwierigkeiten, Menschen zusammenzubringen, wenn man bei dem bleibt, was man hat, am Boden bleibt. Man sollte nicht so sehr auf Unterschiede achten. Das habe ich sehr stark erlebt in den langen Jahren der Arbeit in Afrika, Asien, Lateinamerika – mit ärmeren Menschen zusammen. Das Wichtigste ist der Respekt. Auch wenn man jemandem mit anderen Vorstellungen begegnet, der Respekt ist zentral. Wenn man alle ernst nimmt bleibt, kann man immer miteinander reden.


Wichtig finde ich auch den Geist, miteinander lernen zu wollen, um etwas zu verändern. Das Verbindende muss man hinbekommen. Unwichtig wer wem wieviel hilft, sondern man muss sich unterstützen und miteinander, nicht gegeneinander oder nebeneinander eingestellt sein. Man muss nicht die gleiche Meinung haben, aber ungefähr in die gleiche Richtung gehen, dann kann man sehr viel erreichen.


Wie haben sich Deiner Meinung nach die Anforderungen an Studienabgänger für den Schritt in ein erfolgreiches Berufsleben verändert? Welche Fertigkeiten braucht man, die über ein Fach hinaus gehen? Das wichtigste finde ich, interessiert zu sein und interessiert zu bleiben, an anderen Systemen im Allgemeinen. Dass man diese Offenheit hat. Heute kommen viele aus dem Studium und kennen keine anderen Systeme mehr und viele sind es gewohnt, dass man ihnen von Anfang bis Ende genau sagt, was sie zu tun haben, was sie genau lernen sollen und was nicht. Das finde ich nicht gut. Man sollte sich eine kindliche Freude am Entdecken erhalten. Anders bleibt man nicht anpassungsfähig. Auch sehr wichtig finde ich, teilen und mitteilen zu wollen, und schliesslich umsetzen zu wollen. Dieses Dreieck hat mich immer durchs Leben getragen. Bis heute.


Eines Deiner Ämter ist das Präsidium der Akademien der Schweiz*. Und du hast in Interviews schon gesagt, die Akademien sollten nicht nur von alten Männern geleitet werden, sondern dass man mehr daran denken sollte, wer nachkommen kann und will. Es scheint aber immer schwieriger zu werden, Nachfolger*innen für solche Posten wie Deinen bei den Akademien der Schweiz zu finden. Woran liegt das?


Ja, das ist ein schwieriger Punkt. Ich habe um mich herum in vielen Ämtern alles Menschen über 60 und das ist einfach nicht gut. Es muss ja weitergehen. Aber jüngere Leute, die tolle Wissenschaft betreiben, sind oft so auf ihre so genannte Karriere konzentriert mit allem, was dazu gehört, inklusive einem hohen, zeitintensiven Publikationsdruck – da wollen sie dann nicht noch so ein Amt wie das für die Akademien der Schweiz, denn da können sie z.B. auch nicht publizieren. Ich finde bedauerlich, dass heute ein so grosser Fokus auf den Publikationen liegt. Der viel grössere Impact-Factor als die Anzahl Publikationen ist meiner Meinung nach aber, wie viel man direkt an Menschen weitergibt. Aber wer kommt nach, das wissen wir noch nicht. Alle sind sehr gut darin, ein Profil zu beschreiben, aber wie wir so jemanden finden, da fehlen die Ideen.


*Die Akademien der Schweiz sind ein Verbund der wissenschaftlichen Akademien der Schweiz und per Mandat des Bundes eine der wichtigsten Plattformen für die Früherkennung wissenschaftlicher Innovationen und gesellschaftlicher Herausforderungen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene sowie für den Dialog von Wissenschaft mit Politik und Gesellschaft.

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